China unterhält gute Beziehungen zu Russland und der Ukraine und sieht durch den Ukraine-Krieg wirtschaftliche Interessen gefährdet, schildert Susanne Weigelin-Schwiedrzik im Interview.
Ist der Ukraine-Krieg für China Fluch oder Segen?
In der augenblicklichen Wahrnehmung ist er ein Fluch. Das beginnt damit, dass die Volksrepublik 2013 einen Vertrag mit der Ukraine auf 25 Jahre abgeschlossen hat. Dieser sieht vor, dass die beiden Vertragspartner ihre Souveränität und territoriale Integrität gegenseitig schützen und sich im Falle eines Angriffs konzertieren. Jetzt ist China gefordert, weil eben das eingetreten ist, was im Vertrag angesprochen wird.
Das Zweite ist, dass China mit Russland ein gedeihliches Verhältnis aufgebaut hat, insbesondere seit Xi Jinping 2012 an die Macht gekommen ist. Unterstützt China daher die Ukraine gegen Russland, torpediert das die für China wichtigen Beziehungen zum Kreml. Russland ist für das energiehungrige China bedeutsam, weil es von dort Gas bezieht und die beiden Staaten in militärischen Dingen eng kooperieren.
Aber macht China das nicht auch mit der Ukraine?
Genau. Mithilfe ukrainischer Expertise produziert Peking Transportflugzeuge. Ihren ersten Flugzeugträger hat die Volksrepublik von der Ukraine gekauft und mit Hilfe ukrainischer Ingenieure umgebaut. Dass China jetzt selbst Flugzeugträger baut, ist auf diese Initiative zurückzuführen.
Auch die Entwicklung der Belt & Road-Initiative (auf Deutsch meist „Neue Seidenstraße“, Anm. d. Red.) leidet unter dem Krieg. Die Route durch Russland wird nicht mehr bedient und auch jene durch Osteuropa ist dadurch eingeschränkt.
Was bedeutet das innenpolitisch für China?
Im Oktober soll der 20. Parteitag stattfinden, bei dem Xi Jinping, informellen Regeln widersprechend, obwohl er das 68. Lebensjahr überschritten hat und er dann länger als zehn Jahre den Parteivorsitz innehaben wird, ein weiteres Mal zum Vorsitzenden der Kommunistischen Partei gewählt werden soll. Man hatte ein Drehbuch festgelegt, was alles an Meilensteinen bis dahin verwirklicht werden soll. Doch bis auf die Olympischen Spiele im Winter 2022 wurde bisher nicht viel erreicht, was auch am Krieg in der Ukraine liegt.
Susanne Weigelin-Schwiedrzik ist Universitätsprofessorin für Sinologie am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien.
Mit welchen Folgen?
Dadurch haben Auseinandersetzungen innerhalb der Führung Chinas zugenommen, weil aufgrund des Krieges in der Ukraine, Corona und wirtschaftlicher Maßnahmen, die Xi Jinping in den vergangenen Monaten und Jahren ergriffen hat, sich die ökonomische Lage als nicht gut darstellt.
Die chinesische Führung fängt an nervös zu werden, weil mit drohender steigender Arbeitslosigkeit die Stabilität der sozialen Ordnung gefährdet ist.
Innenpolitisch, außenpolitisch und wirtschaftspolitisch ist dieser Krieg daher etwas, das China nicht haben will. Deshalb wiederholt die chinesische Führung immer den Satz, es sei ein Konflikt, den sie gar nicht habe sehen wollen. Eine komische Formulierung, die sie immer wieder benutzen, wenn sie nicht sagen wollen, wir sind dagegen.
Könnte China den Krieg nutzen, um geopolitische Interessen wie den Anspruch auf Taiwan in Absprache mit Russland durchzusetzen?
China und Russland verbindet die gemeinsame Ablehnung der Hegemonie der USA und des Systems der internationalen Beziehungen. Wie man diese jedoch überwindet, dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen. Putins Russland ist mehr auf Konfrontationslinie.
Die chinesische Elite ist sich uneinig: Es gibt einerseits diejenigen, die kriegsfreudig sind und die Meinung vertreten, dass durch die Ukraine-Krise und die Tatsache, dass sie nicht rasch zu Ende gebracht werden konnte, der Moment gekommen sei, militärische Schritte gegen die USA zu ergreifen. Dabei spielen Taiwan und das südchinesische Meer (vgl. Beitrag „Machtkampf im Südchinesischen Meer“, Südwind-Magazin 3-4/22) eine Rolle.
Und andererseits?
Die andere Gruppe sagt, wenn wir uns zu stark mit Russland einlassen, werden wir selbst Opfer von Sanktionen. Sie befürchten, dass China dann von seinen Hauptabsatzmärkten USA und EU abgeschnitten wäre. Das könne die Volksrepublik sich in ihrer aktuellen ökonomischen Situation nicht leisten.
Nimmt China also eine neutrale Haltung ein?
Zur Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking im Februar kam Putin nach China und brachte Xi Jinping dazu zu erklären, dass er die NATO-Osterweiterung kritisiert und es notwendig sei, darüber nachzudenken, wie man eine neue Weltordnung errichten könne.
Es wurden 15 Verträge zwischen Moskau und Peking abgeschlossen, von denen wir nicht wissen, was drinnen steht. Anschließend ging der ständige Ausschuss des Politbüros der Kommunistischen Partei Chinas für sieben Tage in Klausur. Das ist ungewöhnlich und zeigt, dass es große Widersprüche im Gremium gab, das erst wieder an die Öffentlichkeit treten durfte, nachdem ein Kompromiss gefunden war.
Ergebnis dieser Auseinandersetzung ist die quasi neutrale Haltung Chinas im Ukraine-Konflikt, die nicht nur durch Verträge mit beiden Ländern, sondern auch durch die interne Situation geprägt ist. Deshalb ist diese neutrale Haltung ziemlich stabil.
Wäre China ein möglicher Mediator für eine Friedenslösung?
Anfang Mai hat der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba der chinesischen Nachrichtenagentur ein Interview gegeben und Peking aufgefordert, seinen Einfluss auf Russland geltend zu machen, um so schnell wie möglich einen Frieden in der Ukraine herzustellen.
China hat sich meiner Meinung nach lange zurückhaltend gezeigt, weil es bis zu diesem Interview nicht offiziell aufgefordert wurde, sich einzuschalten – welche inoffiziellen Absprachen bis dahin möglicherweise stattgefunden haben, wissen wir natürlich nicht.
China möchte sich nicht in den Vordergrund drängen, sondern eine Situation abwarten, bis eine der beiden Seiten nervös wird und aus der Not heraus China zum Handeln auffordert.
Welche Szenarien sehen Sie dabei?
Nach meiner Einschätzung wartet die chinesische Seite auf das Eintreten von mindestens einem von folgenden drei Szenarien: Der Krieg führt zu einer Zermürbung beider Seiten, weshalb diese eine Beendigung des Krieges auf dem Verhandlungsweg anstreben. Historisches Beispiel: Koreakrieg.
Oder: Der Krieg führt dazu, dass einer der beiden Parteien eine Niederlage droht und sie dieser durch Verhandlungen zuvorkommen will. Historisches Beispiel: Vietnamkrieg.
Oder aber: Der Krieg führt zu einer weiträumigen Destabilisierung von nicht vom Krieg direkt betroffenen Gesellschaften, etwa im Globalen Süden und bzw. oder in den EU-Mitgliedstaaten, sodass der Westen die Beendigung des Krieges einfordert.
Interview: Markus Schauta
Markus Schauta lebt als freier Journalist in Wien und berichtet für deutschsprachige Medien aus dem Nahen Osten.
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